Die Talmühle am Volkenbach
Christian Kaiser
Von den ehemals drei Mühlen entlang des Volkenbachs in Jestetten sind bis heute zwei Mühlengebäude erhalten geblieben: die Obermühle am Mühlenweg, in der früher auch eine Bäckerei betrieben wurde, und die Talmühle, die etwas außerhalb des Ortes an der Volkenbachstraße Richtung Rheinau ein eigenständiges Gebäudeensemble bildet. Die frühere Ölmühle an der Mündung des Volkenbachs in den Rhein wurde in den 1880er-Jahren abgebrochen, da sich die Bewirtschaftung im engen Volkenbachtobel als dauerhaft unwirtschaftlich erwiesen hatte. Eine Abbildung dieser Mühle findet man heute noch in der Klosterkirche Rheinau auf einem Votivbild von 1793.
Am Standort der Talmühle soll sich bereits seit über tausend Jahren eine Mühle befunden haben. Eine erstmalige urkundliche Nennung stammt aus dem Jahr 1330, in welcher die Talmühle als Besitz des Klosters Rheinau aufgeführt wurde. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde die Talmühle 1570 mit »Häusern, Hofreiten, Sägen, Reiben, Ölmühle, Stallungen, Keller, Gärten, Wiesen und Bünden« dem Konrad Müller zu Jestetten als Erblehen übertragen. Dies zeigt, dass sich am Standort ein großer Wirtschaftsbetrieb angesiedelt hatte, dennoch gab er nur sieben Jahre später den Betrieb an die Grafen von Sulz ab, die ihn jedoch bereits 1665 aufgrund ihrer stetigen Geldsorgen an das Kloster Rheinau verkauften.
Unter dem Rheinauer Abt Gerold II. Zurlauben wurde die Talmühle im Jahr 1700 von Grund auf neu gebaut und erhielt ihre heutige Gestalt als typische Barockmühle. Zur Talmühle gehörten eine Wohnung mit Stube, Küche und drei Zimmern, ein kleiner Stall und die eigentliche Mühle mit zwei Mahlgängen und einem Rändelgang. Auf eine Sägemühle wurde bei der neuen Anlage verzichtet. Der Mühlenbetrieb wurde anschließend fast ausschließlich an Jestetter Bürger verliehen. 1832 verkaufte das Kloster die Talmühle an den Jestetter Leodegar Sigg, von da an war sie in verschiedenen privaten Händen, bevor sie der badische Staat mit zugehörigem Land 1926/27 erwarb, um in den Besitz des Wegerechts zum dahinter befindlichen Staatswald zu gelangen.
Im selben Jahr wurde das frühere innen liegende Mühlrad außer Betrieb genommen und durch eine Francisturbine ersetzt. Nach mehreren Jahren unregelmäßigen Betriebes wurde die Mühle ab 1930 von Müller Otto Frank betrieben, der diese vom Land Baden pachtete. Ab 1930/33 wurden auch im Inneren der Talmühle umfangreiche Umbauten durchgeführt und die Holzkonstruktion der Decken wurde erneuert, um eine Neuaufstellung der Mühlentechnik umzusetzen. Lediglich ein einzelner Eichenstützpfosten von 1842 wurde in das neue System eingebunden. Dach und äußere Erscheinung der Talmühle blieben aber unverändert. Nach dem Tod von Otto Frank im Jahr 1951 wurde die Mühle von seinem Sohn Ernst Frank weiterbetrieben. Der gab jedoch die zugehörige Landwirtschaft ab 1952 auf und trat sie an die Familie Sigg ab. Beide Familien hatten anfangs gemeinsam im benachbarten Wohnhaus an der Volkenbachstraße gelebt, bevor die Familie Frank ein neues Wohnhaus oberhalb der Talmühle an der Wegabzweigung baute. 1963 erwarb die Familie Frank die Talmühle vom Land Baden-Württemberg, musste den Betrieb jedoch im Zuge des deutschlandweiten »Mühlensterbens« 1968 aufgeben.
Der Produktionsvorgang in der Talmühle war bis dahin wie folgt organisiert: Das Getreide wurde von den Bauern am »Rampenboden« (Eingangsbühne) angeliefert. Von dort kam es zunächst hinunter auf den »ersten Boden« (Hallenboden), von wo das Mahlgut mittels eines Becher-Elevators durch das gesamte Haus in den oberen Speicher gefördert wurde. Dort fiel es in den »Vorreiniger« auf dem Dachboden, der aus zwei Rüttelsieben bestand. Das vorgereinigte Material ging über einen sogenannten Überlauf zum »Trieur«, der sich an der Decke des »zweiten Bodens« im Obergeschoss befand. Der Trieur ist ein Rundtrommelsieb, dessen runde Einbuchtungen runde Unkrautsamen, nicht jedoch die länglichen Getreidekörner festhielten. Eine »Schnecke« transportierte den »Auswurf« weg. Das gute Material kam zur Schäl- und Bürstmaschine. Ein Schmirgelmantel mit Schlägern nahm Hülle und Keimling weg, anschließend wurde das Korn abgebürstet und der Staub abgesaugt.
Das so vorgereinigte Getreide kam dann erneut hoch in den »Vorratsbehälter«, der über zwei Geschosse (vom Fußboden des Obergeschosses bis zur Decke des Speichers) reichte und der die gereinigte Tagesmenge aufnahm. Von dort wurde das Mahlgut auf die kleineren Vorratsbehälter der einzelnen Mühlen, und zwar der Mahlgänge wie der Walzenstühle, verteilt. Nach jedem Mahlgang wurde das gemahlene Gut mit Luft hoch zu einem der Mühle fest zugeordneten Plansichterabteil (auf dem Dachboden) gefördert. Das Mahlgut durchlief nacheinander mehrere Mühlen. In einer Mehlmischmaschine, die in der südöstlichen Ecke des unteren Hallenraumes an der Decke hing, wurde dann die gewünschte Mischung hergestellt und schließlich abgesackt.
Nach der Aufgabe des Mühlenbetriebes wurde das Mühlengebäude, nachdem es längere Zeit leer gestanden hatte, 1980 an die Familie Götz und Christiane Kaiser verkauft, die das Gebäude zum Ferienhaus ausbauten und 30 Jahre lang nutzten. 2011 wurde das Gebäude verkauft und von der Nachfolgerin umfassend umgebaut und auch im äußeren Erscheinungsbild (Fassadenverkleidung, Farbgebung, Balkonanbau) leicht verändert. Dennoch befinden sich im Gebäudeinneren weiterhin einzelne Verweise auf die frühere Mühlennutzung, wie z. B. ein Mühlsteinkran, ein Mühlstein, der als Tisch genutzt wird, und ein mühlentypischer Konsol-Aufzug. Am Standort des früheren Turbinenanbaus auf der Seite des Volkenbachs befindet sich heute eine Terrasse. Die Radstube, in der bis 1927 das oberschlächtige Mühlrad lief, wurde zunächst als Getreidesilo genutzt und beim Umbau 1980 bis 1985 mit Zwischendecken (heutige Badbereiche) geschlossen.
Das Gelände an der Westseite der Talmühle (Böschung zum Volkenbach) war früher sehr viel flacher und bot Platz für einen Mühlenweiher und die erforderlichen Wasserschieber und Zuläufe zum Mühlrad. 1961/62 wurde das Gelände mit Aushub des alten Friedhofs aufgeschüttet, der bei der Neugestaltung der katholischen Kirche anfiel. Neben sterblichen Überresten vieler Jestetter aus dem 17./18. Jahrhundert liegt auch ein Mühlstein in der Böschung begraben.
Die besondere Lage des Ensembles rund um die historische Talmühle zeigt sich seit vielen hundert Jahren annähernd unverändert, auch wenn die Nutzung und die Bewohner wechselten. Am malerischsten aber ist der Blick auf die »klappernde Mühle am rauschenden Bach«, wenn sich diese unvermittelt dem Wanderer zeigt, der aus dem Breitenhaag kommend in Richtung Jestetten geht.